B. Landsberger Grundfragen der Frühgeschichte Vorderasiens (Basic questions of the early history of the Near East) Dieser Text ist ein Nachdruck des Artikels Grundfragen der Friihgeschichle Vorderasiens Türkischer Geschichtskongress, Devlet Basımevi, Istanbul, 1937. |
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Kemal Balkan Relations between the language of the Gutians and Old Turkish” |
Editorial Introduction |
The article of B. Landsberger, 1937, is a precursor of the Kemal Balkan's work “Relations Between The Language Of The Gutians And Old Turkish”. Page numbers are shown at the beginning of the page in blue as reprinted in the Kemal Balkan's article. Posting notes and explanations, added to the text of the author, are shown in (blue italics) in parentheses and in blue boxes, or highlighted by blue headers. Some misspellings should be expected. |
B. Landsberger Grundfragen der Frühgeschichte Vorderasiens (Basic questions of the early history of the Near East) |
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Durch Ausgrabungen und Forschungen tritt die Welt des vorgriechischen Altertums immer deutlicher vor unsere Augen. Die Weltgeschichte hat sich, wenn wir sie mit dem ersten Auftauchen schriftilicher Quellen beginnen lassen, um mindestens 2500 Jahre verlangert. An mehreren Stellen Mesopotamiens und Anatoliens können wir den Ablauf der \66\ Geschichte der Kultur vom Entstehen der höheren Kultur an Schicht fuer Schicht ablesen. Der von jeher in den Menschen schlummemde Trieb, bis zu den Urspruengen, den Originen, vorzudringen, scheint erfuellt, ohne dass man das Mittel der Rekonstruktion primitiver Urzustände, wie es besonders am Ende des 19. Jahrhunderts in der Wissenschaft ueblich war, in Anspruch nehmen musste. Gerade heute regt sich ueberall mehr öder minder dunkel der Wunsch, sich von den Bedingtheiten des Hier und Jetzt durch die Erkenntnis der Grundphänomene geschichtlichen Ablaufs zu lösen. Kann die Wissenschaft vom fruehen Altertum Antworten geben, die diesen Trieb nach Erkenntnis wirklich befriedigen? Lassen Sie mich das Buendel von Problemen, das diese Grundfrage enthält, durch einige methodische Überlegungen zunächst, analysieren und sodann, wenn auch nur skizzenhaft, durch einige Beispiele erläutem! Auf der Suche nach Einheitsbegriffen, die geeignet sind, unseren Stoff zu ordnen, bietet sich uns zunächst eine Anzahl soîcher an, deren Anwendung schon seit langem sich als fruchtbar fuer den wissenschaftlichen Fortschritt erwiesen hat; sie sind teils dem popuiären Denken, teils der Geschichtsphilosophie entnommen. Sie haben fuer uns den Wert eines heuristischen Prinzips, das heisst: wir erproben bei ailen unseren Forschungen ihre Anwendbarkeit und suchen sie so ununterbrochen zu klären und zu läutem. Ich uebergehe den jetzt so stark in den Vordergrund getretenen Begriff der Rasse, der in doppelter Hinsicht ein Einheitsbegriff ist: er behauptet nicht nur ein Kontinuum von den femsten Zeiten bis zum heutigen Tage, sondem will uns auch Erkenntnis verschaffen ueber die Einheit von Korper und Geist durch Zuordnung von geistigen Eigenschaften zu einem bestimmten körperlichen Typus. Ein weiterer Begriff, von dem wir uns nicht lösen können, der unserem gesamten Forschen als Denk
und Anschauungsform zugrundeliegt, ist der der Entwicklung. Seine Wurzel liegt im philosophischen
Denken, Hegels. Nach Hegel stellt sich die Geschichte der gesamten Menschheit dar als ein
einheitlicher Prozess des Sichablösens von Ideen nach einem bestimmten Gesetz des Fortschrittes.
Später wurde dann die Menschheitsgeschichte mit der der uebrigen organischen Welt verbunden, wobei
ein höherer synthetischer Einheitsgebriff der Entwicklung geschaffen wird, der fuer alles organische
Geschehen gilt. Das Ende des 19. Jahrhunderts war somit beherrscht von einem mehr oder minder schematischen Evolutionismus: die eine Richtung stellte an den Anfang der Entwicklungsreihen den selbstkonstruierten und nach afrikanisch-australischem Muster gestalteten Primitiven; eine andere Richtung fuehrte das gesamte geistige Eigentum der Kulturmenschheit zuriick auf geistige Urzellen, so etwa der sogenannte Panbabylonismus. Er lost die Kulturen auf in einzelne Elemente, die er dann zurückverfolgt zu ihren Urhebern, den Sumerern. Wieviel Wahrheitsgehalt diesen Theorien innewohnte, sei einstweilen dahingestellt, nur soviel sei hervorgehoben, dass durch sie ein wissenschaftlicher BegrifFsapparat entwickelt wurde, der fuer das Verständnis fremder Welten unentbehrlich war, wobei die zum ersten Male angewandte vergkichende Methode eine entscheidende Rolle spielte. Wenn wir versuchen, den beim Evolutionismus nur dunkel im Hintergrund schwebenden Begriff der Weltgeschichte schärfer zu packen, so zeigt sich, dass eine Möglichkeit besteht, den menschlichen Fortschritt in grossen Linien zu verfolgen. Die Erfindung der Topferscheibe, der Gewinnung und Legierung des Kupfers, die Einfuehrung des Pferdes, die Schaffung des Geldes sind Etappen des weltgeschichtlichen Verlaufs, jede einzelne von ihnen bedeutet eine Revolution an der die gesamte Kulturmenschheit teilnehmen musste. Aber viel schwieriger schon ist dieser allgemein umfassende Aspekt auf geistigem Gebiete. Gewiss hat die erste Pragung des wissenschaftlichen Begriffs, die auf anatolisckem Boden von den ionischen Philosophen geschaffen wurde, das Denken der Menschheit fuer aile Zukunft grundlegend geändert; ebenso sicher aber ist es, dass ein solches Herausarbeiten der fuer uns noch greifbaren intemationalen Bewegungen nur ein Reduktionsschema ist und ueber den wirklichen Inhalt der Kulturen, die von den genannten Revolutionen betroffen wurden, nichts aussagt. Fruchtbarer als dieser Einheitsaspekt ist die morphologische Betrachtongsweise, welche die einzelnen Kulturen nach dem Bilde eines lebendigen Organismus schaut, somit die Geschichte als ein ständiges Werden und Vergehen darstellt. Alle diese Betrachtungsweisen sind bis zu einem gewissen Grade berechtigt, aber sie wirken fuer
den Forscher einengend, indem sie seinen Blick von vomherein in eine bestimmte Richtung lenken und
bei ihrer Anvvendung bestimmte Voraussetzungen als gegeben annehmen. Suchen "ar Jedoch nach einer
allgemeinen und möglichst voraussetzungslosen e, so kommen wir von selbst auf eine Richtung der
Forschung, \68\ die ich als geistige Anthropologic bezeichnen
möchte. Ihre einzige Voraussetzung ist, dass sich das Vorstellen und Denken der Menschen aller Orte
und Zeiten soweit aknlich ist, dass man es mit dem unseren vergleichen und dadurch verstehen kann;
dieses unser Verstehen hat allerdings Grenzen. Auf erster Stufe befasst sich die geistige Anihropologie mit der Beschreibung und dem Vergleich der Phanomene, die sie möglichst nicht von aussen betrachtet, sondem indem sie in das Denken der Kulturträger selbst einzudringen sucht und die fuer die einzelnen Phanomene zur Verfuegung stehenden Bezeichnungen und Ausdraecke analysiert. Weiter aber hat sich der Geisteswissenschaft der letzten Jahrzehnte die Überzeugung bahngebrochen, dass die einzelnen Phanomene nur dadurch verstehbar und erklarbar sind, dass sie als Teile einer Ganzheit gefasst werden, mit anderen Worten: es hat sich ueberall die Erkenntnis durchgesetzt, dass wir vom Phanomen fortschreiten muessen zur Struktur. Wir erfuellen diese Forderung, indem wir zunachst die Sprachstruktur ermitteln, und damit haben wir bereits Wesentliches fuer das Verständnis der Kultur gewonnen; denn die Struktur der Sprache ist identisch oder wenigstens parallel mit der des Denkens. Der Gedanke Humboldts, dass durch die Sprache die Kuitur in den meisten ihrçr Gebiete bereits determiniert ist, ist in den letzten Jahren unserer Forschung wieder zu hohem Ansehen gelangt. Aber nicht aile mögen davon ueberzeugt sein, dass wir in der Sprachstruktur zugleich einen hoheren Strukturbegriff, fuer die uebrigen Zweige der Kultur gueltig, gewonnen haben. Wir begnuegen uns zunachst mit iwei Fordemngerv. 1) dass wir durch fortgesetzte dialektische
Auseinandersetzung mit den Denkformen und Grundbegriffen der fremden Kultur so tief wie nur möglich
in ihr Verständnis eindringen; 2) dass wir Kulturen erst dann miteinander vergleichen, wenn wir ihre
Struktur bereits erfasst haben. Diese beiden Forderungen sind auf dem Gebiete der
Rechtsvergleichung, das von alien Kul turvergleichungen methodisch am besten durchgearbeitet
ist, schon grossenteils erfuellt. Hier ist die Einheit zwischen Rechtsstruktur, sozialer und
Wirtschaftsstruktur oft handgreiflich. So wird zum Beispiel das Phänomen Kaufehe erlautert durch den
Strukturbegriff der Familie in seiner spezifischen Praegung, b e i der der Familienvater
Eigentuemer der Familien mitglieder ist. Die bisher in ihrer Bedeutung stark unterschätzte strukturelle Analyse der Sprachen fuehrt uns aber auch weit zurueck in die Jahrtausende der Vorgeschichte und liefert uns somit den diachronischen Einheitsbegriff Sprache. Dabei zeigt es sich, dass gewisse Grundformen des Anschauens und Denkens von Urzeiten her bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben sind. Hat aber eine Sprache ihre Struktur geandert, so ist das fuer uns ein Hinweis auf eine historische Bewegung, sei es von innen heraus, sei es durch ausseren Einfluss, die das Denken der Sprachgemeinschaft gewandeit hat. Leider sind Sprach- und Geschichtswissenschaft noch nicht zu der wuenschenswerten Einheit, wie sie von uns angestrebt wird, zusammengeschlossen. Wenn wir oben den Grundsatz aufgestellt haben, dass der Vergleich von Einzelphänomenen verschiedener Kulturen nur vorbereitenden Wert hat, so ist damit ausgesprochen, dass der von uns einleitend in seinen verschiedenen Gestaltungen skizzierte welthistorische Aspekt der Geschichte durch die Strukturiehre völlig neue Forschungsbedingungen erhält. Was an den Kulturen national und was international ist, lässt sich nun scharf erfassen. Anregung, Beeinflussung, Entlehnung zwischen den einzelnen Kulturen sind erst jetzt greifbar, weil wir nunmehr ihre strukturändemde Wirkung beobachten können. Ebenso lassen sich die von mir schon erwahnten grossen Bewegungen, die von irgendeinem Punkte
ihren Ausgang nehmen und durch eine Kulturwelt grossen Umfangs hindurchgehen, durch ihre
strukturandemde Wirkung in ihrer Bedeutung wuerdigen. Ob es ausser den tiefgreifenden
Wirtschaftsbewegungen in der Zeit, die uns beschaftigt, auch schon solche geistiger Art gegeben hat,
ist heute noch nicht zu entscheiden. Eine geistige Bewegung, die durch ganz Vorderasien
hindurchging, war zweifellos die Ubemahme der sumerischen Schrift, aber in ihren Konsequenzen
scheint sie mehr zu Mischungserscheinungen bei den uebrigen Kulturen gefuehrt zu haben als zu
grundlegenden Anderungen der Denkstruktur. Andere geistige Bewegungen wie die fruehe Verbreitung des
Kultes der MultergoUheit, später die sich ueberall gegen die offizielle Religion durchsetzende
Pravalenz des Sonnenkultes oder das Ruetteln an den Grundlagen der Religion durch ein Prophetentum
um das Jahr 900 erkennen wir noch nicht deutlich. So bringt der Sirukturbegriff auch Ordnung in die morphoiogischen fıobleme der Kulturforschung, und schüesslich können wir den Bestand an Kulturforraen. und -gedanken, der bleibend in die Menschheitstradition \70\ eingegangen ist, aussondem und dadurch den Begriff der Weitgeschichte schärfer fassen. Wenn wir bei unserer Beschäftigung mit Mesopotamien und Anatolien immer das Gefuehl hatten, dass es sich hierbei> zum Unterschied etwa von China, aber selbst auch von Âgypten nich bloss um anthropologische, sondem um welthistorische Forshung handelt, so können wir dieses dunkie Gefuehl einer inneren Verwandtschaft mit diesen Kulturen jetzt den exakten Nachweis der Kulturtradition ersetzen. Die Erkenntnis der Strukturen einer Kultur und der Versuch, von den Einzelstrukturen der verschiedenen Kulturgebiete zu einem höheren Strukturbegriff vorzudringen, der die betreffende Gesamtkultur charakterisiert, hat natuerlich zur Voraussetzung, dass schriftliche, verstehbare Quellen den verschiedenen Textgattungen zugehörig und in genuegender Menge vorhanden sind. 1st dies nicht der Fall, so sprechen wir von einem Red.uktionsschema. Mit einem solchen muessen wir uns begnuegen in Mesopotamien bis etwa 2500, in Anatolien bis etwa 1500. Wohl gibt es in Mesopotamien schon seit 3500 schriftliche Quellen, in Anatolien um das Jahr 2000 eine reiche Literatür wirtschaftsgeschichtlicher Art, aber diese Quellen sind naturgemäss nicht vielseitig genug, um aus ihnen ein Strukturbild aufzubauen. Der Kulturforscher, der sich mit solch einseitig orientierendem Quellenmaterial begnuegen muss, hat die Pflicht der Erğänzung. Das wichtigste Hilfsmittel dieser Ergänzung ist das Projizieren des Späteren in die fruehe Vergangenheit, ein Verfahren, das vorsichtig gehandhabt werden muss. So sind wir berechtigt, fuer Mesopotamien aufgrund der Identitat der Personennamen anzunehmen, dass die sprachliche und religiose G ru n d s tru ktu r des Sumerischen schon beim Übergang von der Ğemdet-Naşr Periode zur sogenannten fruehdynastiscken Kultur (das ist um 3100) vorhanden war; dagegen duerfen wir, obgleich wir ein Kontinuum der Schrift und sogar der schulmässigen Tradition dieser Schrift auch fuer noch fruehere Perioden beobachten können, die spatere sumerische Kultur nicht in die Zeit vor 3100 projizieren. Auf die Frage der Erganzbarkeit unserer Quellen fuel die anatolische Kultur um 2000 werde ich noch eingehen. Betrachten wir zunachst die Sprachstruktur des Sumerischen, so repräsen tiert es den Typus
einer extrem komplexiven Sprache, das heisst: der Satz muss, schon ehe er ausgesprochen wird,
in alien Einzelheiten gegliedert im Bewusstsein des Sprechenden vorhanden sein, dies in s c h r o f
f s t em Gegensatz zu dem kursiven Typus des Sennhschen, das die äusseren und \71\
interen Eriebnisse erst beim Sprechen aneinanderfuegt. Damit gehört das Sumensche nicht nur
phanomenologisch, sondem wohl auch kistorisch zu einer weiten Gruppe von Sprachen, die in dem
Gebirgsguertel gesprochen wurden, der sich mitten durch ganz Asien hinzieht. Die einzige heute noch
lebendige Sprahfamilie dieser Art von Bedeutung sind die Turksprachen. “Sprechen” bedeutet daher fuer den Sumerer “ordnen”. Das Sumensche ist wurzelarm und erzeugt seinen grossen Reichtum an Gegenstands- und Verbaibegriffen durch die Zusammensetzung, zum Beispiel: grosser Mann = König, Auge öffnen = sehen. Ordnen ist aber nicht nur die Grundfunktion des Sprechens, sondem auch des Denkens der Sumerer. Fuer ihre Kulturleistung dabei ist aber enstcheidend, dass sie sich nicht begnuegen mit der Konzeption des geordneten Ganzen der empirichen Welt, sondem dass sie zum ersten Male in der Weltgeschichte eine höhere transzendente Ganzheit erfassen, nämlich die kosmische Einheit alles Seienden. Diese kosmische Welt ist aber nicht -und dies ist der grandioseste Gedanke dieser altehrwuerdigen Kultur - eine Abstraktion der Theologen, sondern sie lebt verwurzelt in der empirischen Welt. Ihr Symbol ist der Tempel, der in der sumerischen Geschichte eine ueberragende Bedeutung hatte. Das Weltgeschehen vollzieht sich nach göttlichen Ordnungen aufgrund von Formeln, die die Götter gesprochen haben. Innerhalb der Gesellschaftsstruktur verwirklicht sich der ordnende Gedanke in dem durchgereifenden standischen Aufbau in der Form des sogennanten Staatssozialismust der im Grund nur staatliches Eigentum, nur Beamte und Untergebene kennt. Durch den historischen Zufall stösst eine vollkommen andersgeartete geistige Welt mit der sumerischen zusammen, die der Semiten. Ihr Sprechen und Denken ist extrem kursiv; ihre Sprache kennt nur im geringen Masse die Zusammensetzung, an deren Stelle besitzt sie eine Überfuelle von Wurzeln mit starker Ausdruckskraft; ihre Wortbildung folgt bestimmten Gestaitschemen, wordurch eine implizite Klassenunterscheidung der Gegenstands- und Vorgangsbegriffe des Sprachblid beherrscht. Die Akkader beugten sich ehrfuerchtig dem sumerischen Geist, obgleich Sle seine tiefen
Gedanken mehr ahnten als verstanden und immer geneigt 'varen, sie zu vergegenständlichen. Ihre
Sprache passten sie der sumerischen an> indem sie den komplexiven Satzbau in gewissem Grade
uebemahtnen. Die Mischung dieser beiden Kulturen ist eins der interessantesten morphologischen Phänomene. Sie hat sich in verschiedenen Phasen voilzogen, \72\ deren erste im frühgeschichtlichen Dunkel liegt. Eine vvirkliche Aneignung des Sumerischen hat nur in den niederen Sphären des Denkens stattgefunden; ueber diesem liegt eine höhere Ebene, in der das Sıımerische nicht uebersetzbar war. In die erwahnte sumerische Staatsjorm haben sich die Akkader einige Jahrhunderte lang eingefuegt, aber die Tradition, wonach die Gesellschaft sich auf der Familienstruktur und der durch den Rat der Manner reprasentierten Gemeinde aufbaute, ist nie ganz verloren gegangen. Durch neue semitische Zuwanderungen unterstuetzt ist schliesslich kurz vor 2000 der freie Buerger an die Stelle des sumerischen Beamten und Untergebenen getreten. Den Akkadern ist es jedoch zu danken, dass das Sumensche den uebrigen Volkem des Vorderen Orients verstandlichgemacht wurde. Die akkadischen Schreiber waren die Sendboten der sumerischen Kultur in ihrer vereinfachten und vergegenständlichten Form. Schon fruehzeitig bildete sich rings um Mssopotamien ein Kranz von Ländern, die die Keilschrift sich angeeignet hatten. Alle diese Völker erkan nten ebenso wie die Babylonier die sumerische Ordnungsiehre an. Die sumerischen Mythen hatten fuer sie schlechthin Überzeugungskraft. Den letzen Ausläufer dieser Fern wirkung des Sumerischen sehen wir in den ersten Kapiteln des Alien Testamentes, am handgreiflichsten in der von den Sumerern entlehnten Sintflutgeschichte. Von all diesen Völkem, die im Umkreise der sumerischen Kultur lehten, kann ich hier nicht reden.
Ich kann weder ihre Sprachstruktur im Verhaltnis zum Sumerischen untersuchen, noch auch, wie sie die
sumerische Kultur angenommen und mit ihren nationalen Kulturen verwoben haben. Ich spreche also
nicht von Elamiern, Subaraern, Lullubäern, Kassiten. Nur eins dieser Völker will ich
herausgreifen, aus zwei Gruenden: zunaechst ist es der Besiegung der akkadischen Semiten
durch dieses Volk (nach 2500) zu danken, dass das Sumerertum noch eine Nachblueteperiode von
mehr als drei Jahrhunderten erlebt hat; in ihr hat der sumerische Geist seinen abgeklartesten
Ausdruck gefunden, etwa in der Person eines Gudea, an ihrem Ende ist der sumerische
Literaturkanon, kurz vor dem Aussterben des Sumerischen als einer lebenden Sprache schriftlich
niedergelegt worden, sodass die letzte wichtigste Rezeption des sumerischen Gutes durch die Baby
lonier vielseitig und gruendlich vor sich gehen konnte. Dieses Volk der Gutium
oder Kutium, dessen Namen wir nach Streichurig der akkadischen Nisbe als Kut ansetzen können,
ist aber, wenn nicht gewichtige Anzeichen \73\ truegen, der
weitaus alteste in unsere Geschichte eingetretene Stamm, der I mit den Tuerken aufs engste verwandt,
ja vielleicht identisch ist. Das einzige, was uns von der kutaischen Sprache erhalten ist, sind einige Namen von Königen. Sehen wir von denjenigen ab, die im Munde der Bevölkerung Babyloniens bereits akkadisiert wurden, so bieibt noch ein j Dutzend, von diesen wiederum nur vier, die gleichzetig, also etwa 2500 v. Chr. niedergeschrieben sind, wahrend die übrigen aus einer um rnehrere Jahrhunderte späteren literarischen Überlieferung stammen, die Fehler nicht ausschliesst. Betrachten wir zunachst den ausseren Bau dieser Namen (1*), so find- * en wir die Gesetze der Vokalharmonie und der türkischen Wortbildung darin bewahrt. Weiter lässt sich ein Teil davon unsehwer als tuerkuches Verbaladjektiv verstehen mit den Endungen -gan bzw. -agon (A 1.2); -miš (B 1); -iş (B 2); die verbale Endung -ti scheint B 10 zu enthalten. Das zur Verbalisierung von Nomina dienende Infix -la scheint in A 1, B 3, 4 und 6 vorzuliegen. Ein Partizipium auf -ap bzw. mit dem fiir die Türksprachen so typischen Hiatustilger, auf -agap, durch die Namen A 4 bzw. B 3 und 4 belegt, kennt zwar das heutige Türkisch nicht, wohl aber die älteren Dialekte. Die Nominalendung -lak finden wir in A 3. Untersuchen wir weiter die Woristamme, so ist bei A 1 sowohl yar wie I yarla zu belegen; eine Bedeutung “Verkünder” kommt in Frage; Yarlagan I erinnert an den in den Orkhoninschriften bezeugten Personennamen Yargan. A 2 Tirigan ist formell einwandfrei, es lässt sich als “der Stiitzende” verstehen und erinnert an uigurish tiriga “vortrefflich”. Der Name A 3 hat am meisten Beweiskraft, denn Şarlak oder Çarlak ist in mehreren Dialekten als Tiemame bezeugt (sowohl Saugetier wie Vogel). Einen guten Sinn gibt ferner B 1 El-ulumiş als Erweiterer des Landes, B 2; Inima-bakiş lässt, als tuerkisch aufgefasst, verschiedentliche Deutung zu. * Meine Kollegen von Gabain und Raszonyi haben mich freundliehst
beraten. Von einer Sprache, die um mehr als 3000 Jahre älter ist als das bisher älteste Zeugnis aus ihrer Familie, duerfen wir nicht erwarten, dass sich alle Erscheinungen glatt in das Schema der Sprache fuegen oder sogar ohne weiteres etymologisch verständlich sind. So sei auch auf die Schwiengkeiten hingewiesen: der Name B 6 ist eine Erweiterung von A 1, er \74\ zeigt ein Suffix -da, das ^ugekörigknt zu bedeuten scheint. A 4 hat einen mit ı beginnenden Stamm: das Element nikil von B 3 ist noch unverständlich, die Namen B 7 und 8 machen zvvar ihrer Struktur nach keinen un - liirkischen Eindruch, sind aber weder mit irgendwelcher Sicherheit zu analy si eren noch zu verstehen. Ich erlaube mir dieses Material der Türkologie zur Pruefung vorzulegen, sie möge entscheiden, ob die Namen nach Lautgestalt, Form- und Stammelementen die Einordnung in die türkisehe Sprachfamilie zulassen oder ob man zu ihrer Erklärung mit Effolg die entfemter verwandten altaischen Sprachen heranzuziehen hat. Die Kuläer haben nach 2500 die Dynastie dur semilisehen Könige von Akkad gestuerzt und 125 Jahre ueber Mesopotamien geherrscht. Da die sumerische Kultur sowohl in ihrer organisehen Verbindung mit dem Akkadischen wie auch selbständig und unvermiseht als höhere Bildungsschicht eine ausserordentliche Lebenskraft bewies und sich ueber die Jahrtausende hin ohne umstuerzende Ânderung ihrer Struktur erhielt, so ist durch die hier gegebenen Schlaglichter das Wesen des Babylomertums von 3000 bis zu Christi Geburt einigermassen charakterisiert. Können wir nun ähnlich auch eine Charakteristik des anatolisehen Wesens geben? Diese Frage lässt sich nur mit allem Vorbehalt einer Lösung näherbringen. Ehe die Keilschriftquellen erschlossen waren, schien die Gestalt der Muttergotiheil und die mit ihr verbundenen leidenschaftlichen Naturkulte fuer dieses ganze Land einschliesslich seiner syrischen Nachbarschaft von alters her kennzeichnend. Wenngleich diese uns ueberlieferten Kulte durchaus den Eindruck machen, dass sie seit uralter Zeit im Lande wurzelten, so konnten wir sie doch bisher in den Keilschriftquellen n icht recht auffinden. Zahlreiche Volkerwellen ueberfluteten das Land, auch hat die sumensek Kultur zu verschiedenen
Zeiten Anatolien stark in ihren Bann gezogen. Zum ersten Male geschah dies, als um 2000 bis 1900
durch assyrischt Handler und die Schreiber in ihrem Gefolge die keilschrift. in das Land ge' bracht
und von der einheimischen Bevölkerung teilweise rezipiert wurde: am Hofe des Grosskönigs Anitas von
Kusara schrieb man um diese Zeit assyrisch, und nicht viel später muss die babylonische Schrift und
mit ihr sumerische Gelehrsamkeit am hethitischen Königshofe eine bunt zusammer* gewuerfelte
Gotterwelt umlagerte, die aus ur anatolisehen, hethitischen, raischen und babylonischen Göttero sich
zusammensetzte, so ist doch die \75\ Verrnutung nicht ohne
weiteres abzulehnen, dass die urspruengl.ichen, bodenständigen religiosen Kräfte des weiten Landes
dadurch unberuehrt blieben. Untersuchen wir daraufhin die wenigen Quellen fuer die anatolische Religion vor und um 2000. Wir finden zunachst, dass Anatolien das einzige Land ist, wo aus dem urzeitlichen Idolkult sich unmittelbar, ohne Storung durch Literatür oder Theologie, eine höhere Religion entwickelt hat. Diese Entwicklungslinie lässt sich demonstrieren an einer weiblichen Gottheit, deren Kult sich von Troja bis zum Chabur erstreckt. Durch die Forschungen von Opitz, Przeworski und Bittel wurde dieser archäologische Typus nachgewiesen. Wenn diese Göttin auch mit einer gewissen modischen Kleidung versehen wird, wenn ihr auch gelegentlich ein mannlicher Partner zugesellt wird, zuweilen sogar noch ein Kind, so lässt sich an dem deutlichen Hervortreten der Geschlechtscharaktere doch ihr Ursprung aus einem uralten Idoltypus noch erkennen. Duerfen wir diese Gestalt als die uranatolische Göttermutter ansprechen? Zu diesem einen Hinweis kommt ein anderer. Zur Zeit der assyrischen Handelskolonien war eine der wichtigsten, sogar von den Assyrem rezipierten Gottheiten die Gottin Gubaba. Ihr Kult war nach Osten hin wiederum bis zum Syrien und bis nach Chabur, verbreitet, wieweit sie nach Westen reichte, dafeur fehlen die Quellen (Als den männlichen Partner dieser Göttin duerfen wir vieleicht den von den Assyren König des Landes genannten Gott ansehen, der bis in die Gegend des mittleren Euphral hin verehrt wurde). Weiter duerfte es aber kein Fehlschluss sein, wenn wir diese Gubaba der Bevolkerungsschicht
zuweissen, der das Gros der Personennamen der eınheimischen Bevölkerung um 2000 angehört. Diese
Bevölkerung war nicht protochattisch; das können wir behaupten, obgleich wir vom Protochatiischen
noch sehr wenig wissen, denn das Fernininsuffix des Protochattixhen und das unserer uranatolischen
Sprache gehen auseinander (einerseits -ak> andererseits -sara), desgleichen die Nisbe
{protochattisch -il, in unserer Sprache -umn). Zu unserer Sprache, die wir vielleicht alsbezeichnen
duer- ^eni gehört aber ferner das Suffix -anda und wohl auch das Suffix -ašsa, dessen Ausdehnung
ueber den sudlichen Streifen von Anatolien bis nach Grienechenland langst beobachtet
ist, Die Tochter eines
Aplahanda weiht ihr Siegel der Gottin Gubaba. Nun wird aber niemand zweifeln, dass
Gubaba identisch ist mil
Kubebe, der Hauptgottin des lydischen Sardes, das heisst Reprasentantin des Typus der
Muttergottheit bei den
Lydern. Diese \76\ Fakten geben uns immerhin schon eine
gewisse Berechtigung, die Gestalt der Muttergottheit als uranatolisch zu bezeichnen.
Wenngleich vielleicht Anatolien nur eine Provinz eines noch viel grösseren Verbreitungsgebietes war,
so ist doch nur hier dieser Kult nicht nur ohne Störung lebendig, sondem auch zentral geblieben. Können wir also jetzt mit einiger Wahrscheinlichkeit behaupten, dass die Naturreligion, wie sie aus später Zeit fuer Anatolien bezeugt ist, ein uraltes Gut darstellt, so muessen wir die Frage emeut stellen, wie die eigenartigen, ueber ganz Vorderasien verbreiteten Naturkulte untereinander zusammenhängen. Nicht nur, dass sich die Gestalt der Muttergöttin, immer etwas abseits von dem Pantheon der grossen Götter stehend, auch bei den Sumerem findet: durch ganz Vorderasien geht auch der Kult des Stmes, der zum Beispiel im Tern pel des Gottes Assur, in babylonischen Tempeln, in Kanaan und Syrien verehrt wurde. Aber auch das Motiv des sterbenden und auferstehenden Gottes mit seinen leidenschaftlichen Klagen und Freudenfesten ist im gesamten Vorderasien bekannt; die Entmannung der Kultpriester der Partnerin dieses Gottes ist auch bei den Sumerem nachzuweisen. Nichts spricht allerdings dafuer, dass diese Kulte innerhalb der sumerischen Religion ein unorganisches Einsprengsel sind, aber auch die Herleitung aus dem Sumerischen, wo die Mythologie dieser Götter sehr bald literarisch verarbeitet und dadurch ihrer Urspruenglichkeit beraubt wurde, verbietet sich. Âhnlich verhalt, es sich mit der Verbreitung der Gestalt des Wettergottes. Sind wir berechtigt, daraus auf kültürelle Zusammenhänge zu schliessen, die in femste Urzeiten zurueckreichen? Gibt es wirklich etwas wie eine Urreligion, die sich gegen alle Literarisierung und gegen alle Theologisierung doch immer wieder durchsetzt? Solche Fragen lassen sich heute nur andeuten, aber noch nicht naher ausfuehren. Wie sich auch die Zusammenhange zwischen den vorderasiatischen M’ turkulten auch einmal aufklären
werden, steht doch soviel fest, dass sich w Anatolien in einem ungehemmten Entwicklungsstrome die
alte U rk ra ft der Naturgötter bis in spate Zeiten erhalten oder wenigstens, w e n n zeitweise die
literarischen Nachbarkulturen das Land beinflussten, immer wieder durchgesetzt hat, langst nachdem
in Babyknien durch L ite r a r is ie ru n g die Urspruenglichkeit dieser religiösen Kräfte bereits
verloren war, längsı nachdem in Israel durch eifernde Propheten die letzten Reste der Na turreligion
ausgetilgt waren. Ja, diese Kräfte waren noch zur Zeit del Romer so lebendig, dass muede Religionen
sich daraus neu verjuengten. Die Frage, ob die alte Muttergöttin als Gestalt und als Idee den Wand el der Kulturen ueberdauert hat und noch heute im Madonnenkulte lebt, möchte ich nur aufwerfen, ebenso nur daran erinnern, dass Anhanger einer evoiutionistischen Religionsgeschichte das Motiv des sterbenden und mferstehenden Gottes bzw. des mit diesem in mystische Gemeinschaft gesetzten Menschen bis in die vor- und nachchristlichen Mysterienreligionen verfolgen und zum mindesten als eine wichtige Anregung in der Richtung auf den zentralen Gedanken des Christentums ansehen. Damit kehre ich zu der Frage nach dem Erkenntniswert unserer Studien zurueck, mit der ich diesen Vortrag begonnen hatte. Der Verlauf der Geschichte ist so vielseitig und komplex, dass man mit keiner einseitigen Theorie, also weder mit dem Evolutionismus noch mit der Kreislauflehre, ihn erschöpfen kann. Ständiges Werden und Vergehen einerseits, Bleiben und Verharren andererseits schliessen einander nicht aus, sondem sind Antinomien, die, rich tig gegeneinander abgrenzt, unsere Wissenschaft befmchten. Ebenso schliessen anthropologische und weltgeschichtliche Betrachtung einander nicht aus; aber es ist unsere Pflicht, durch genaue methodische Uberlegung und ständige Bewahrung unserer Grundbegriffe in der Einzelforschung IClarheit ueber unsere Voraussetzungen zu gewinnen. Dann werden wir, auch beim Studium der altesten Perioden, ebenso das Extrem einer kuenstlichen in den Stoff hineingetragenen Aktualisierung vermeiaen wie das andere, der sinnlosen Anhäufung toten Stoffes. Prof. LANDSBERGER Beilage zu Blatt 13 - 15 A. In gleichzeitigen Quellen Überîieferte Namen:
B. In den Königslisten (ca. 2000 redigiert) ueberlieferte Name:*
Der Vokal ı ist in der Keilschrift nicht ausdriickbar; er scheint duirh e wiedergegeben zu werden (2*). Auch ç kann nicht in der Keilschrift geschrieben werden, es duerfte durch ş ersetzt worden sein. 1* These personal names treated by Jacobsen in Sumerian King List,
p. 118 as follows:
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